Shades Tours: Wien aus der Perspektive eines Obdachlosen & Backen für den guten Zweck.

Shades Tours: Wien aus der Perspektive eines Obdachlosen & Backen für den guten Zweck.


21.11.2017 · Lifestyle · von Jana

Während wir Zuhause die Heizung höher drehen und nach dem Motto „doppelt hält besser“ gleich zwei Paar Socken übereinander anziehen, frieren gleichzeitig tausende Menschen in Wien unter freiem Himmel. Wir waren letzte Woche bei Shades Tours. Einer Tour durch Wien, die dich die Metropole mit anderen Augen betrachten lässt: Und zwar aus der Sicht obdachloser Menschen.

 

Shades Tours: Zeit für einen Perspektivenwechsel.

Shades Tours

Mitte November, es weht ein eisiger Wind und wir sind mit unserem gesamten Team auf dem Weg zum Hauptbahnhof. Es ist so kalt, dass sich ein Kollege spontan dazu entschließt, sich schnell einen Schal zu kaufen. Das Paradoxon: In wenigen Minuten werden wir einiges über jene Menschen erfahren, die oft keine wärmende Kleidung, geschweige denn ein Zuhause besitzen.

Shades Tours wurde im Herbst 2015 gegründet und hat es sich zur Mission gemacht, auf das immer noch tabuisierte Thema Obdachlosigkeit aufmerksam zu machen und die Berührungsängste auf beiden Seite zu schmälern. Das Konzept ist genauso simpel wie effektiv: Die Touren werden von Obdachlosen oder ehemaligen Obdachlosen geführt. Sie zeigen den Teilnehmern ihr Wien und beleuchten dabei die Schattenseiten Wiens, erzählen aber auch über die hilfreichen Initiativen, die es in Wien gibt.

Shades Tours

Wir werden am Hauptbahnhof herzlich von Daniel „Schweizerlein“ begrüßt. Seinen Nachnamen möchte er nicht nennen, das ist in seinen Kreisen auch völlig unüblich. Er wird aufgrund seiner Herkunft Schweizerlein genannt, den Spitznamen Ricola hat er vehement verweigert, erzählt er uns mit einem Lächeln. Er fragt uns, wie hoch wir die Anzahl der Obdachlosen in Wien einschätzen. Hättest du eine Ahnung? Die offiziellen Zahlen belaufen sich auf 10.000, die Dunkelziffer liegt mitunter aufgrund der verdeckten Obdachlosigkeit oder fehlendem Anspruch vermutlich bei 20.000 – 25.000 Personen.

Schweizerlein erzählt uns, dass er selbst lange Zeit bei Freunden untergekommen sei, bevor er dann seine erste Nacht im Park verbrachte. Es war die erste von hunderten Nächten. Wie gefährlich es mitunter werden kann, erschüttert uns. Schweizerlein erzählt uns von einem Bekannten, der letztes Jahr im Schlaf ermordet wurde. Jemand hatte seinen Schlafsack mit Benzin übergossen und angezündet. Zwischendurch wechseln wir den Standort, aber eigentlich geht es hier vor allem um eines: Fragen stellen und zuhören.

Wir möchten dich an dieser Stelle gar nicht allzu sehr mit Informationen füttern, denn am besten gehst du einfach selbst mal mit. Die Führung hat bei uns ca. 2 Stunden gedauert, danach sind wir gemeinsam Essen gegangen und haben unseren nächsten Programmpunkt angesteuert: Backen für den guten Zweck. Ebenfalls ein Paket von Shades Tours und die ideale Kombination mit der Tour.

 

Backen für den guten Zweck.

Shades Tours

Das kollektive Backen findet in der Anker Brotfabrik statt. Wer es mit den Keksen nicht so hat, kann auch an einem der zahlreichen Koch-Workshops teilnehmen. Wir haben uns aber, passend zur Jahreszeit, mit Schürze und Kochlöffel bewaffnet und losgelegt. Unsere Mission: Marzipan-Kugeln, Vanille-Kipferl (die dann eher Vanille-Plätzchen wurden), Knusperhäuschen, Kokos-Kugeln und passende Körbchen. Wir müssen aber gestehen, dass wir einen Profi im Team hatten. Schweizerlein ist gelernter Gastronom und stand uns mit Rat und Tat zur Seite, wenn die fragenden Gesichter mal zu viel oder der Teig zu trocken wurde.

Shades Tours

Also haben wir tatkräftig gestartet, Teig geknetet, Zuckerguss angerührt und Schokolade geschmolzen. Mit einem Ergebnis, das sich sehen lassen kann. Zwei volle Kisten und eine große Tragetasche bis obenhin befüllt mit unseren Kekskreationen. Und weil wir zeitlich top im Plan waren, konnten wir unsere selbst-gebackenen Spenden auch noch persönlich an zwei Einrichtungen ausliefern. Zum Abschluss gab’s natürlich ein Gruppenfoto und für jeden von uns einen Kochlöffel als kleines Andenken.

Shades Tours

 

Was kannst du tun?

Natürlich haben auch wir die schwierige Frage gestellt. Im Bereich der Obdachlosigkeit ist jedoch selten ein Fall wie der andere und jeder sollte individuell behandelt werden. Eines konnten wir aber auf jeden Fall mitnehmen: Socken sind das meistbegehrteste Kleidungsstück und werden so gut wie immer benötigt. Wenn du also gerade jetzt vor Weihnachten etwas Gutes tun möchtest, empfehlen wir dir eine Sockenspende bei der Caritas.

Außerdem besonders wichtig: Wann immer du in Wien in dieser Jahreszeit einen Menschen in der Kälte schlafen siehst, ruf das Caritas Kältetelefon unter +43 1 480 45 53 an! Du rettest ihm vielleicht damit das Leben und musst dafür nicht mehr tun, als die Nummer in dein Handy einzuspeichern. Das Einzige, was du falsch machen kannst, ist: Wegschauen.

 

Summa summarum: Eine mehr als gute Sache.

Eines möchten wir zum Abschluss noch erwähnen: Unser Team zeichnet sich nicht unbedingt durch Stille aus. Wir sind meistens laut und nicht gerade unauffällig. Während Shades Tours hat sich das allerdings geändert. Sogar unser Guide Schweizerlein hat uns mehrmals auf unser besonders ruhiges Verhalten hingewiesen. Aber in einigen Momenten hat es uns wohl einfach die Sprache verschlagen. Und diese Erfahrung solltest du auch machen.

Wir können dir Shades Tours nur wärmstens empfehlen. Du bekommst nicht nur wertvolle Einblicke vermittelt, sondern unterstützt als Teilnehmer gleichzeitig deinen Guide dabei, in das Berufsleben zurück zu finden und Fuß zu fassen. Und obwohl die Thematik ernst und nicht zu unterschätzen ist, hat uns der Tag auf eine besondere Art und Weise Spaß gemacht. Vermutlich auch, weil unser Guide nicht nur durch Sympathie, sondern auch eine große Portion Humor geglänzt hat.



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